SONS OF KEMET Lido, Berlin am 22.05.18
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Shabaka Hutchings macht keine halben Sachen. Der karibische Saxophonist,Bandleader und Komponist aus London hat gleich für alle drei seiner Bands beiminzwischen wieder in New York beheimateten Label Impulse! unterzeichnet.
»So viele meiner musikalischen Helden, inklusive John Coltrane, Alice Coltrane und Pharoah Sanders waren auf diesem Label zuhause,« meint der 33-jährige mit der coolsten Zahnlücke seit Vanessa Paradis. »Es ist eine Ehre dieser Labelfamiliebeizutreten.« Bevor bei Impulse! neue Alben seiner südafrikanisch inspirierten ›Shabaka & The Ancestors‹ oder der eher elektrischen Band ›Comet is Coming‹ erscheinen, feiert im März 2018 das dritte Album der Sons of Kemet bei Impulse! sein Debüt. Mittlerweile zum Quartett gereift, bleiben die Söhne Kemets, des altägyptischen ›Schwarzen Landes‹ im Niltal und Nildelta, ihrer international gerühmten »Beschwörungsmusik für die Stadtstämme der Gegenwart« (RalfDombrowski in Jazz thing) auch in der Besetzung Saxophon, Tuba und zwei Schlagzeuge treu.
Der Albumtitel ›Your Queen Is A Reptile‹ ist dabei deutlich un-royal zu verstehen: DerQueen of England, die laut Liner Notes »nicht unsere Königin ist“, denn »sie siehtuns nicht als Menschen“, stellen die Sons of Kemet neun würdigere Königinnen ausder afrikanischen Diaspora entgegen – in aufwühlenden, mitreißenden Hymnen, dieden Spiritual Jazz der Siebziger erfolgreich in das politisch aufgeheizte Jetztübersetzen. Aufgenommen in London mit Gästen wie der Jungle-Legende CongoNatty oder dem Poeten Joshua Idehen, marschiert diese futuristische Second-Linevon New Orleans über die Karibik nach London und weiter in den Mittleren Osten.Dabei betonen Spoken Word, Rap und Dub-Elemente die Relevanz des Jazz in derHip-Hop-Welt.
»Auf einer Ebene ist es unsere Pflicht, dem Publikum zu geben, was es will«, hat Shabaka Hutchings einmal zu Protokoll gegeben. »Auf einer anderen geht es darum, diese Erwartungen aufzubrechen und etwas anderes in diese Lücke zu packen – auf einer weiteren Ebene geht es darum, all das zu vergessen und einfach Euphorie zuschaffen.« Das funktioniert. »Seine kosmische Mythologie versteht er politisch«,erkennt Jazzthetik. Außerdem: Energie und Rhythmus von »800 Millionen Stimmen. 700 Jahren. Millionen Knochen, die unter dem Gewicht 22 falscher Jahre knacken. Ein unkontrollierbarer Feuersturm.« In einer Festivalankündigung hieß es: »Musik, die in Psalmen komponiert ist, aber oft eher nach animistischen Ritualen klingt. Ethnomusikologen sprechen in so einem Fall auch von Wurzelbehandlung.«
Der Saxophonist und Komponist dahinter wurde 1984 in London geboren, wuchs aber zwischen sieben und sechzehn auf Barbados auf. 1990 kehrte er nach Großbritannien zurück und setzte in Birmingham und später auch wieder London seine klassische Ausbildung fort. Daneben arbeitet der Teenager mit Soweto Kinchoder Orphy Robinson, bald auch mit Alt-Avantgardisten wie Louis Moholo und Evan Parker. Später holten ihn Ikonen wie Courtney Pine oder Mulatu Astatke in ihre Bands. 2010 ernannte ihn BBC 3 zum New Generation Artist und nahm ihn mit demPianisten Julian Joseph, der BBC Big Band oder Aaron Coplands Klarinettenkonzertmit dem BBC National Orchestra of Wales auf. Im Jahr darauf hob Hutchings die Sons of Kemet aus der Taufe, die schon 2013 einen MOBO Award als ›Jazzband des Jahres‹ bekamen. Noch ein Jahr weiter wurde ihm der Parliamentary Jazz Award als Jazz-Instrumentalist des Jahres und dazu der Paul Hamlyn Composer Awardverliehen. Die aktuelle Besetzung mit Hutchings an Saxophon, Theon Cross an derTuba, sowie den Drummern Tom Skinner und Eddie Hick versetzte erst kürzlich das Publikum des Winterjazz-Festivals in New York in Entzückung. »The crowd adoredit«, konstatierte Jazzwise.
Das nun vorliegende, dritte Album der Sons of Kemet ist eigentlich ein Manifest, was man schon an der kriegerischen Cover-Kunst des südafrikanischen Künstlers Mzwandile Buthelezi erkennen kann. ›Your Queen Is A Reptile‹ greift die britischeMonarchie an. In den Liner Notes des britischen Spoken Word-Poeten EhimwmenmaJoshua Idehen heißt es dazu: »Eure Königin hält sich für besser als wir; aufgrund ihres Blutes, aufgrund ihrer Erblinie, aufgrund der Anmut der Eroberung, gerechtfertigt durch Tyrannnei, durch das Selbstbewusstsein der Tradition. Eure Königin bekräftigt diese Botschaft durch ihre Krone, ihre Kirche, ihr Parlament, ihre loyale Gefolgschaft, ihren Reichtum, ihre Beziehung zu den Medien und zum Britischen Imperium, die ihren Lebensstil, ihre Mode, ihre Küche und ihre Kultur feiern. Eure Königin wird von unseren Steuern finanziert, was wiederum die Ungerechtigkeit der Diskriminierung von Klasse und Rasse in Großbritannien rechtfertigt: dass einige als überlegen geboren sind und ihnen mehr zusteht, aufgrund dessen woher sie kommen, oder wen sie anbeten oder wer ihre Eltern sind. Eure Königin ist nicht unsere Königin. Sie sieht uns nicht als Menschen.«
Die Alternative der Sons of Kemet sind eigene Königinnen, die »durch Taten geführt haben, mit gutem Beispiel vorangegangen sind«, denn: »unsere Königinnen haben zugehört. Unsere Königinnen haben aus grausamen und unfairen Vergangenheiten großartige Zukünfte gemacht«. Es geht darum sich eine Welt zurückzuerobern in der »Menschen ihre weiblichen Anführer akzeptieren« und Immigranten »obsolete Systeme« in Frage stellen können. Die Titel der neun Tracks des Albums funktionieren alle nach dem selben Prinzip: Sie beginnen mit »My Queen is ...« und fügen die Namen mehr oder meist weniger bekannter Heldinnen der afrikanischen Diaspora an. Die neuen Royals sind afroamerikanische Ikonen wie Harriet Tubman, Begründerin der Sklaven-Befreiungs-Organisation ›Underground Railroad‹, oder die Bürgerrechtlerin Angela Davis, sowie die jamaikanische Nationalheldin ›Nanny Of The Maroons‹ oder Yaa Asantewaa, die Aschanti-Königinmutter, die 1900 den letzten Aufstand gegen die Kolonialherrschaft der Briten in Westafrika anführte.